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Aderlass – medizinische Heilmethode und Frömmigkeitsübung auf einem Klostergemälde (um 1750)

Im Bereich der Kirchenkunst finden sich Plastiken und Bilder, die nicht nur zur Vermittlung religiöser Inhalte geschaffen wurden, sondern auch profane Themen behandeln: Tischsitten, Modetrends u.a. Eine Klostersammlung im Raum Innsbruck enthält ein Gemälde aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, das einen als Frömmigkeitsübung zu deutenden Aderlass an einem Ordensmitglied – und somit ein medizinisches Thema – anschaulich vor Augen führt.

Das Bild zeigt den seligen Johannes Angelus Porro im Moment der Blutentnahme durch einen Mediziner. Zwei Novizen befinden sich an der Seite des Geistlichen. Der eine assistiert dem Arzt und hält eine Schale, in die das Blut rinnt. Der andere streicht über die Stirn des entrückt ins Leere blickenden Johannes Angelus. Zu den bemerkenswerten Einzelheiten der Abbildung zählen neben den der Szene beiwohnenden Putti am oberen Bildrand auch die Novizen, weil sie ebenfalls als engelsgestaltige Wesen mit Flügeln wiedergegeben wurden. Möglicherweise entstand dieses Detail in Verbindung mit dem Anliegen, nicht die medizinische Behandlung, sondern den spirituellen Charakter des Werkes in den Vordergrund zu rücken.

Nichtsdestoweniger wurde auch die Behandlungsmethode des Aderlasses realitätsgetreu festgehalten, was mit der Lebensgeschichte des seligen Johannes Angelus Porro in Zusammenhang stehen dürfte: Der aus der Mailänder Adelsfamilie der Porro stammende Johannes Angelus (1451-1505) war Mitbruder bei den Serviten und Priester. Seiner schwachen Gesundheit zum Trotz versuchte er ein beschauliches und von Verzicht geprägtes Leben zu führen. Eine frühe Lebensphase verbrachte er als Einsiedler. 1484 wurde er als Novizenmeister in das Kloster von Florenz berufen. Im Rahmen dieser Tätigkeit verfasste er für die angehenden Mitbrüder die Schrift „Nützliche Unterweisungen“. 1495 kehrte Johannes Angelus in sein „Heimatkloster“ nach Mailand zurück, wo er zum Prior gewählt wurde. Dort bewohnte er eine abgelegene Zelle, widmete sich neben der Heiligen Messe, der Meditation und dem Gebet auch anderen apostolischen Aufgaben, z.B. der religiösen Unterweisung von Kindern und Jugendlichen. Johannes Angelus starb 1505 in Mailand und wurde in der Servitenkirche San Carlo beigesetzt. Sein fast unversehrt erhaltener Körper wird dort als Reliquie verehrt. Johannes Angelus wurde 1737 selig gesprochen (Gedenktag: 25. Oktober). Man bringt vor allem Kinder zu seinem verglasten Sarg, um sie segnen zu lassen oder im Krankheitsfall für ihre Genesung zu beten.

Es waren wohl zwei Aspekte dafür ausschlaggebend, dass der körperlich schwächliche Johannes Angelus auf dem Gemälde im Augenblick eines Aderlasses dargestellt wurde: Der Aderlass ist nämlich nicht nur eine der ältesten medizinischen Heilmethoden, sondern zählt auf dem Gebiet der Alternativmedizin noch heute zu den so genannten „ausleitenden Verfahren“ (allerdings wird dazu nur noch aus den Venen Blut entnommen). Das legt den Schluss nahe, dass der Selige nicht nur aus gesundheitlichen Gründen mit Aderlässen behandelt wurde, sondern dass diese in Bezug auf das Gemälde auch als eine Art Frömmigkeitsübung anzusehen sind. Der Aspekt der „religiösen Kasteiung“ führte bei dieser Abbildung möglicherweise auch dazu, dass der ehemals auch als Novizenmeister fungierende Selige von zwei als Engel dargestellten Novizen umgeben abgebildet wurde.

Auch der medizinhistorische Wert des Gemäldes ist erheblich, weil man in der konventionellen westlichen Medizin heute nicht mehr „gutes“ von „schlechtem“ Blut unterscheidet und daher Aderlässe kaum mehr verordnet werden. Auf dem Gemälde ist ein gut gekleideter Arzt zu sehen. Bei dieser Art der Vermittlung von Kompetenz handelt es sich um ein beachtenswertes Detail, weil in der Vergangenheit die meisten Aderlässe von schlecht ausgebildeten Badern und Wundärzten vorgenommen wurden. Diese wendeten die Blutentnahmen vielfach ohne exakte diagnostische Vorkenntnisse und unter abstrusen Rahmenbedingungen an. Z.B. wurden für einen Aderlass alle Fenster und Türen geschlossen, sodass die Luft im Raum stickig war. Oder die Kranken wurden dazu veranlasst, vor der Blutentnahme Holz zu hacken oder einen Dauerlauf zu machen. Diese Formen der Behandlung führten fast immer dazu, dass der Patient in Ohmacht fiel. Vielfach zogen die (zu häufig vorgenommenen) Aderlässe auch eine zusätzliche körperliche Schwächung der Kranken nach sich – nicht selten mit Todesfolge. Daneben legten Wundärzte und Bader im Unterschied zu den Ärzten die Zeiten für eine Blutentnahme sowie die für den Stich in die Blutbahn vorgesehene Körperstelle oft nach grotesk anmutenden astrologischen Kriterien fest. Die entsprechenden Körperstellen waren auf so genannten „Aderlass-Männchen“ eingezeichnet.

Der Arzt im Zentrum des Gemäldes soll also eine gewisse Seriosität signalisieren. In seiner rechten Hand hält er das Aderlass-Messer, die so genannte „Fliete“. Das zweite für einen Aderlass unerlässliche Utensil war eine Schale, in die das Blut floss. Hier wird sie von einem als Engel gestalteten Novizen gehalten, der mit festem Griff auch den Unterarm des seligen Johannes Angelus umklammert.