Weil sie ihr Weg in die Klassenzimmer täglich an einem Kunstwerk an der Außenfassade ihres Schulgebäudes vorbeiführte, geht für viele Tiroler und Tirolerinnen die erste Begegnung mit Kunst auf die Schulzeit zurück.
Eine beachtliche Zahl an Wandmalereien und Sgraffitos an Schulen entstand in den 1950er-Jahren infolge einer von der Tiroler Landesregierung erlassenen Richtlinie für „Kunst am Bau“. Darin war vorgesehen, dass zwei Prozent der Bausumme für Landesbauten für die künstlerische Ausgestaltung aufzuwenden seien. Die meisten der damals verwirklichten Projekte wurden über Wettbewerbe vergeben, an denen sich alle in Tirol ansässigen Künstler beteiligen konnten. Ursprünglich war diese Initiative zur Unterstützung heimischer Künstler in der Nachkriegsära geschaffen worden. Heute präsentieren sich die entstandenen Arbeiten als Raritäten, weil sie zum Teil in ländlichen Gemeinden umgesetzt wurden, in denen man keine Gegenwartskunst erwarten würde. Die Künstler verstanden es, kindgerechte, leicht verständliche Werke zu schaffen – auch wenn aus heutiger Sicht so manche künstlerische Interpretation von Themen wie Schule und Erziehung nicht mehr zeitgerecht erscheint.
Im größeren Umkreis zwischen Hall in Tirol und Schwaz haben sich besonders bemerkenswerte künstlerische Arbeiten an Schulgebäuden erhalten. Sie gehen auf die Künstler Max Weiler (1910 Absam-2001 Wien) und Max Spielmann (Innsbruck 1906-1984) zurück, die in den 1950er-Jahren eine Vielzahl von „Kunst-am-Bau“-Projekten gestalteten.
Östlich von Innsbruck liegt die Gemeinde Volders, wo sich Max Spielmann an der Volksschule mit einer Fassadengestaltung aus dem Jahr 1955 verewigte. An der Nordseite des Baues schuf er ein Sgraffito, auf dem er Personen aus dem Dorfleben bildlich festhielt: Eine Mutter mit Kind, einen Wandersmann und einen Lehrer mit seinem Schüler. Ein besonders reizvolles Sgraffito gestaltete Spielmann um 1957 am Schul- bzw. Kindergartengebäude von Volderwald, wo er zwei Schulkinder unter die Obhut eines Schutzengels stellte.
Ein Künstler, der sich in den 1940er- und 1950er-Jahren konsequent um Aufträge für Kunstwerke im öffentlichen Raum bemühte, war der später an die Akademie (heute Hochschule) für bildende Künste in Wien berufene Max Weiler. Zu seinen Hauptwerken aus dieser Zeit zählen die Wandmalereien in der Theresienkirche in Innsbruck-Hungerburg und im Innsbrucker Hauptbahnhof. Ebenso gestaltete er die Wandmalereien an den Schulen von Hall in Tirol und Gallzein, die fälschlicherweise häufig als Fresken bezeichnet werden. Tatsächlich handelt es sich bei diesen Malereien aber um in Secco-Technik ausgeführte Arbeiten, die der Künstler mit so genannten Keim’schen Mineralfarben ausführte. Das sind langlebige lichtbeständige Silicatfarben, die nach ihrem Erfinder Adolf Wilhelm Keim benannt werden (patentiert seit 1878).
An der straßenseitigen Front der Hauptschule Wattens schuf Max Weiler ein Werk in Sgraffito-Technik, das 1949 im Zuge der Errichtung des Gebäudes und somit auch ganz am Beginn der „Kunst-am-Bau“-Aktion des Landes Tirol entstanden sein dürfte. Dargestellt sind eine Arbeiterfamilie, Schulkinder sowie Bienen und Ameisen als Symbole des Fleißes und der Ausdauer.
Am Gemeindehaus von Gallzein, in dem auch die Schule untergebracht ist, verwirklichte Weiler eine mehrteilige Wandarbeit, die sich aus einem Hahn, dem Wappen von Gallzein und einem Lehrer mit seinen Schülern zusammensetzt. Auch dieses Sgraffito entstand 1949. Auf beiden Werken bildete Weiler je drei Schüler ab, die aber in ihrer Haltung und Gestik voneinander abweichen. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich Max Weiler vor der Umsetzung seiner „Kunst-am-Bau“-Projekte an Tirols Schulen mit dem Studium der Körpersprache von Schulkindern intensiv befasste.