Nicht umsonst gilt Tirol als „heiliges Land“, in dem christliche Traditionen und Bräuche besonders gepflegt werden: Überall finden sich große und kleine Denkmäler, welche die tiefe Verbundenheit der Bevölkerung mit der Religion dokumentieren. Zum Kreis der so genannten sakralen Kleindenkmäler zählen die verstreut liegenden Haus- und Wegkapellen, Ölberge, Kreuzwegstationen und Bildsäulen. Zum überwiegenden Teil wurden sie von unbekannten Künstlern geschaffen, die nicht selten die künstlerischen Strömungen ihrer Zeit mit volkstümlichen Elementen vermischten. Diese stillen Boten des Glaubens werden in allen Landesteilen liebevoll gepflegt.
Eine besonders reizvolle Gruppe von 10 Bildsäulen befindet sich an der alten Straße zwischen Silz und Haiming. Sie säumen eine Art Besinnungsweg, der vom Künstler Walter Honeder 1956 auf der Basis ausgewählter „Rosenkranzgeheimnisse“ geschaffen wurde.
Die Haiminger Bildsäulen haben einen einheitlichen Aufbau. Sie bestehen jeweils aus einem gemauerten, bauchigen Rundpfeiler, auf dem eine Art Sakramentshäuschen mit Giebeldach ruht. In der Mitte des Gehäuses befindet sich eine Nische, in die Bildtafeln eingelassen wurden. Die Bilder bestehen aus Keramiken, die Walter Honeder schuf.
Walter Honeder – übrigens ein Cousin des Malers Alfons Walde – wurde 1906 in Weidlingau bei Hadersdorf in Niederösterreich geboren, besuchte in Wien die Kunstgewerbeschule und ließ sich ab 1931 in Innsbruck als freischaffender Künstler nieder. Mit wenigen Unterbrechungen verbrachte er bis zu seinem Tod im Jahr 2006 sein Leben in Tirol. Zu den Zäsuren in Honeders Leben und Werk gehören seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft. Nach Kriegsende folgte der „künstlerische Aufbruch“ unter dem Einfluss des Institut Français in Innsbruck. Damals wurden viele einheimische Künstler durch die Begegnung mit der Französischen Moderne nachhaltig geprägt, neben Walter Honeder u.a. auch Gerhild Diesner und Fritz Berger.
Vor dem Hintergrund seiner ostösterreichischen Wurzeln, den Kriegs- und Nachkriegserfahrungen schuf Walter Honeder eindrucksvolle Werke, in denen er Aspekte des Wiener Expressionismus und Einflüsse des Französischen Fauvismus mit Elementen der Tiroler Volkskunst verband. Seine Nähe zum Volkstümlichen kam ihm vor allem bei der Umsetzung von Aufträgen für Kunst im öffentlichen Raum zugute, z.B. den Bildsäulen zwischen Silz und Haiming im Tiroler Oberland.
Für die Umsetzung dieser Bildsäulen wählte Honeder wetterresistente Keramik, was ihn jedoch bei der Bemalung mit bunten Glasuren vor die Herausforderung stellte, dass die Farben vor dem Schmelzvorgang nicht ineinander fließen durften. Das führte zu einem für diese Bildsäulen typischen, relativ flachen Bildaufbau. Vor überwiegend scharf eingegrenzten Farbfeldern im Bildhintergrund wurden räumliche Elemente wie Bäume, Möbel etc. und zuvorderst die Figuren aufgemalt. Das Arbeiten in Keramik schränkte Honeder in seiner künstlerischen Freiheit also stark ein. Dennoch gelang es ihm, Bilder von hoher religiöser Ausdruckskraft zu gestalten.
Auf den ersten Blick ist man zur Annahme geneigt, bei den Bildsäulen handle es sich um einen Kreuzweg. Bei genauer Betrachtung der Keramikbilder entdeckt man aber neben Szenen wie Geißelung, Dornenkrönung und Kreuzigung Christi auch die Verkündigung Mariens und die Geburt Jesu. Die Art der Zusammenstellung der 10 Bilder verweist auf eine Verbindung mit dem Rosenkranz und auf die mit dem Rosenkranzgebet zusammenhängende Zahlenmystik (5, 10, 15, 50, 150). Noch unmittelbarer ist aber der Bezug zu den freudenreichen und schmerzhaften Rosenkranzgeheimnissen. Dabei handelt es sich um spezielle Formulierungen, die bei den entsprechenden Rosenkränzen gebetet werden. Sie beziehen sich auf ausgewählte Bibelstellen, die vorwiegend aus dem Evangelium nach Lukas entnommen wurden: Die freudenreichen Geheimnisse beleuchten die Menschwerdung und das verborgene Leben Christi, die schmerzhaften Geheimnisse die Passion Christi. In ihrer Summe ergaben sie für die Realisierung dieser Bildsäulen ein einheitliches theologisches Programm, das von Walter Honeder aufgegriffen und künstlerisch gekonnt umgesetzt wurde.