Selbst in entlegenen Regionen Tirols haben sich Kunstwerke erhalten, die nicht nur aufgrund der Qualität ihrer Gestaltung, sondern wegen der Rahmenbedingungen ihrer Entstehung beachtet werden sollten. Zwei Bodenstanduhren aus dem Defereggental sind typische Beispiele dafür, weil sie mit Uhrwerken aus dem fernen Schwarzwald ausgestattet wurden. Heute zieren sie Stuben in St. Jakob im Defereggental.
Die Geschichte des Defereggentals war von Not und Hunger geprägt. Verursacht durch eine krasse Übervölkerung, entwickelte sich hier eine regelrechte „Hausiererepoche“. Vor allem im Winter war es notwendig, die Zahl der Esser zu verringern, weshalb die Männer gezwungen waren, außerhalb des Tales Verdienstmöglichkeiten zu suchen. Grundsätzlich war für die hier Ansässigen eine „temporäre Emigration“ kein gänzlich unbekanntes Phänomen, weil die Deferegger durch die politische und kirchliche Zugehörigkeit zu Virgen bzw. Matrei in Osttirol für Erledigungen oft den heimatlichen Hof verlassen mussten. Zu den von den Osttiroler Wanderhändlern angebotenen Waren gehörten neben Decken und Wetzsteinen bald auch Schwarzwälderuhren, deren Uhrkästen aber von einheimischen Tischlern angefertigt wurden.
Zu den ursprünglich von den Defereggern vertriebenen Waren gehörten Tuche, Decken und Teppiche aus dem Pustertal, die in Heimarbeit hergestellt wurden. Aus diesem Grund nannte man die Deferegger Wanderhändler auch „Tiroler Teppichkramer“. Daneben boten die Osttiroler gerne auch Wetzsteine und Strohhüte an. Da die Männer in der Fremde aber auch mit anderen, für ihren Wirtschaftszweig interessanten Produkten in Berührung kamen, handelten sie bald auch mit Schwarzwälder Uhren, für die man in Osttirol passende Uhrenkästen herstellte.
Das Zusammentreffen von Deferegger Wanderhändlern und Schwarzwälder Uhren ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass sich die Osttiroler Krämer mit den Uhrmachern aus dem Schwarzwald in irgendeiner Weise „identifizierten“. Denn auch die Schwarzwälder waren aufgrund der in dieser Region herrschenden Not zu Uhrmachern geworden. Schwarzwälder und Deferegger „ergänzten“ sich aber noch auf andere Weise. Denn während sich die Schwarzwälder vor allem in den Wintermonaten mit der Uhrmacherei beschäftigten und im Sommer zuerst ihre Produkte selbst verkauften, begaben sich die Deferegger vorwiegend im Winter auf Wanderschaft, um in der wärmeren Jahreszeit auf ihren eigenen Bauernhöfen mitzuarbeiten. Schließlich führte das dazu, dass die Deferegger für manchen Schwarzwälder Uhrmacher den Vertrieb übernahmen und sich diese wieder vermehrt ihren Landwirtschaften widmen konnten. Die Gesamtproduktion betrug um 1800 schon 100.000 Uhren jährlich, wobei unterschiedliche Uhrentypen hergestellt wurden. Die Deferegger kauften im Wesentlichen die Hauptbestandteile von Lackschilderuhren. Die aus lackierten Holztafeln bestehenden Ziffernblätter, die Pendel, Gewichte und Werke wurden aus dem Schwarzwald importiert. In Osttirol fertigte man dann die dazupassenden Uhrenkästen an. Höhe und Breite der Uhrenkästen folgten vor allem den Anforderungen des Pendels, denn die Länge des Pendels war ausschlaggebend für den genauen Gang der Uhr.
Die Uhrenkästen verfügen über eine hochrechteckige Gestalt von etwa zwei Metern Höhe, die sich in Sockelzone, Mittelteil und die eigentliche Uhr unterteilt. Die meisten Sockel weisen waagerechte Profilierungen, manchmal auch aus Schnitzereien gefertigte Dekorationen (z.B. Rosetten) auf. Der Mittelteil kann auch als Pendelkasten bezeichnet werden und wurde immer mit Türe ausgestattet, weil man zum Aufziehen der Uhr einen Zugriff auf die Gewichte schaffen musste. Die Füllungen der Türen bestanden entweder aus Holz oder aus Glas. Gläserne Füllungen erleichterten die Beobachtung der Bewegung des Pendels, wohingegen die hölzernen Füllungen mit Bemalungen oder Schnitzereien dekoriert werden konnten. Der obere Teil der Uhren nahm die Werke und Ziffernblätter auf, meistens wurde er ebenfalls mit einer schützenden Glasabdeckung versehen.
Ein weiteres typisches Merkmal für die Entwicklung der besonderen Erwerbszweige des Schwarzwaldes und des Defereggentales ist, dass man in beiden Regionen im Verlauf des 18. Jahrhunderts dazu überging, arbeitsteilig zu produzieren bzw. zu vertreiben. Denn man hatte erkannt, dass eine bessere Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit auch mehr Ertrag brachte. Z.B. ging man in Osttirol davon ab, alleine zu hausieren, sondern man schloss sich zu schlagkräftigen „Kumpanien“ (Handelsgesellschaften) zusammen. Diese wurden mit Geschäftskapital, Mitarbeitern (Gesellschafter und Knechte bzw. Einkäufer, Fuhrmänner etc.) und Depots ausgestattet. Für rund 200 Jahre waren die Deferegger im Wanderhandel aktiv. Die Aussicht, relativ rasch zu Bargeld zu gelangen, war für viele Männer so verlockend, dass sie sich den Strapazen langer Handelsreisen unterzogen. Dazu heißt es: „Die Häuser sind für die vielen … Kindermengen viel zu eng. Das kommt vom vielen Heiraten…“ Denn kaum war ein Deferegger mit etwas Geld in das Tal zurückgekehrt, war sein einziger Wunsch zu heiraten und sein Haus einzurichten. Die schönste Zier der Stube war dann eine Bodenstanduhr.