Die Salvatorkirche in der gleichnamigen Gasse in Hall in Tirol hat nicht nur in Bezug auf ihre Wandmalereien einige Besonderheiten zu bieten: Die 1406 geweihte Kirche wurde vom Adeligen Johann Kripp gestiftet und diente seiner Familie als Begräbnisstätte. Somit ist sie bis heute eine der wenigen Kirchen Österreichs, die sich als so genannte Eigenkirche im Besitz ihrer Gründerfamilie befindet. Am Beginn des 16. Jahrhunderts fungierte sie auch für kurze Zeit als Versammlungsort der ersten Klostergemeinschaft innerhalb der Haller Stadtmauern.
Der Bau wurde im Verlauf seiner 600-jährigen Geschichte mehrfach schwer in Mitleidenschaft gezogen, z.B. verwüstete ihn 1871 ein Brand und 1945 beschädigte ein Bombentreffer das Dach. Es folgte eine Renovierung der Kirche. Diese förderte nicht nur die Grabstätte der Familie Kripp zutage, sondern auch einen bedeutenden Freskenschmuck. Die Wandmalereien füllen die Wand im Hintergrund des Altares. Dargestellt sind Christus als Weltenrichter, Propheten und ein thronender Papst. Während alle Abbildungen im Wesentlichen identifizierbar sind, gibt die Figur des Papstes bis heute Rätsel auf.
Bereits in der Zwischenkriegszeit hatten Ministranten hinter einem Kasten gotische Wandmalereien entdeckt. Ihre endgültige Freilegung erfolgte jedoch erst später und eine umfassende Restaurierung sogar erst in den Jahren 2005/2006. Als Maler der 1406 datierten Fresken ist Meister Hans von Bruneck überliefert, der hauptsächlich in Südtirol und im Trentino tätig war. Meister Hans gilt als einer der Mitbegründer der Pustertaler Malschule des 15. Jahrhunderts, der später auch so wichtige Künstler wie Michael und Friedrich Pacher angehörten. Bei den Fresken von Hall in Tirol handelt es sich um das einzige nachweisbare Werk von Hans von Bruneck in Nordtirol, wodurch den Wandmalereien noch mehr Bedeutung zukommt.
Das ca. fünf Meter hohe Fresko nimmt den unteren Teil der östlichen Chorwand ein und bildet den Hintergrund für den Hochaltar, einer schlichten Mensa (Altartisch). Im Zentrum des Wandbildes steht „Christus in der Mandorla“ (Maiestas Domini) und damit eine der häufigen mittelalterlichen Abbildungsarten für Christus. Doch während Christus auf den typischen Darstellungen dieser Art als derjenige wiedergegeben wird, der den Tod besiegt hat und der mit seinem Segen seine Hand über die Welt hält, ist er auf dem Fresko in der Salvatorkirche in Hall in Tirol als „Weltenrichter“ festgehalten worden. Auf dem Chorfresko ist also der Tag des Jüngsten Gerichtes abgebildet, was zugleich mit dem Patrozinium (Weihe) der Kirche in Verbindung steht: „Salvator“ ist der lateinische Begriff für „Erlöser“ und somit handelt es sich auch um das passende Bildthema für eine Begräbnisstätte.
Jesus thront auf der regenbogenfarbenen Mandorla bzw. Himmelskugel. Er ist zwar als Auferstandener dargestellt, doch präsentiert er sich nicht als Sieger, sondern als derjenige, der sich für die Welt geopfert hat. Aus diesem Grund sind seine Wundmale deutlich hervorgehoben worden. Christus wird von vier Engeln flankiert, zwei von ihnen halten seine Leidenswerkzeuge (Arma Christi), zwei weitere verweisen mit ihren Posaunen auf das Bildfeld unterhalb der Mandorla, wo Tote aus ihren Gräbern aufsteigen. Auf der linken Seite lassen sich drei gute Seelen mit gefalteten Händen ausmachen und auf der rechten Seite Figuren, die sich die Haare raufen bzw. an denen der Teufel zerrt.
Die Szene wird von zwei in einem Dienst endenden Wandpfeilern „eingerahmt“, auf denen die Darstellungen von vier Propheten freigelegt werden konnten. Sie halten Spruchbänder mit Bibelzitaten, die sehr wahrscheinlich in Bezug auf eine weitere Abbildung auf diesem Chorfresko zu deuten sind. In der Sockelzone unterhalb des „Christus als Weltenrichter“ befindet sich ein in Bodennähe aufgemalter Fries, der ornamental ausgestaltete Rauten und einen Tondo mit einem thronenden Papst enthält.
Bei dem abgebildeten Papst – so ergaben jüngste Untersuchungen (Quelle: Romedio Schmitz-Esser in: Neues zur Geschichte der Stadt Hall, Bd. 2, Hall in Tirol 2008) – könnte es sich um Martin V. Colonna handeln, der 1417 ein langjähriges Schisma (Kirchenspaltung) beendete. Damals war die Tiroler Landespolitik unter Herzog Friedrich IV. (1382-1439) in den Streit zwischen drei zeitgleich „regierenden“ Päpsten genauso involviert wie der Stifter der Salvatorkirche, Johannes Kripp. Es ist zwar bis heute unklar, welche Haltung Johannes Kripp in Bezug auf die Kirchenspaltung genau eingenommen hatte, fest steht aber, dass er dabei in Konflikt mit seinem Landesfürsten geriet und festgenommen wurde. Es liegt daher der Schluss nahe, dass sich Johannes Kripp nach seiner Freilassung insgeheim an Friedrich IV. mit einem Wandfresko „rächte“, auf dem er den die Kirche einenden Papst Martin V. darstellen ließ. In diesem Zusammenhang ging es vorrangig auch um das Thema der Rechtgläubigkeit, denn Herzog Friedrich IV. hatte sich lange Zeit gegen eine Lösung des Schismas gestellt, indem er einen Gegenpapst und somit einen Feind des von Gott auserwählten Papstes Martin favorisierte. Daher kann das Fresko an der östlichen Chorwand der Haller Salvatorkirche auch als stille Abrechnung eines Adeligen mit seinem Herrn interpretiert werden, der ihn unrechtmäßig einsperren ließ.