Die um 1410 entstandenen Wandgemälde eines unbekannten Meisters im Chor der Pfarrkirche St. Veit in Defereggen können als besonders gut erhaltenes, qualitätsvolles Beispiel des „Weichen Stiles“ innerhalb der gotischen Wandmalerei betrachtet werden.
In dieser Art von Malerei zu Beginn des 15. Jahrhunderts haben sich italienische, letztlich auf der Plastizität der Kunst Giottos fußende Elemente mit dem höfisch-eleganten Stil Frankreichs und Burgunds sowie der von der böhmischen Schule ausgehenden Naturbetrachtung zur international auch als „Kunst um 1400“ bezeichneten Richtung vereinigt.
Dargestellt sind die „Verkündigung an Maria“ sowie die „Geburt Christi“.
Die Darstellung der „Verkündigung an Maria“ steht am Beginn des christologischen Heilgeschehens. Denn der Augenblick der Zustimmung Mariens zu Gottes Ratschluss der Erlösung gilt als Moment der Menschwerdung Christi.
In der Kirche von St. Veit in Defereggen spielt sich die Verkündigung in einer gewölbten, durch zwei Bogenstellungen gekennzeichneten Architektur ab. Die Zinnenbekrönung mit dem überkuppelten Aufsatz in der Mitte verweist auf den himmlischen Bereich, aus welchem Gottvater mit seinem Gnadenstrahl auf Maria trifft, deren Stirn vom Symbol des Heiligen Geistes, der Taube, berührt wird. Die Jungfrau sitzt in demütiger Haltung in weißem, faltenreichem Gewand vor dem Betpult mit dem geöffneten Buch, das auf die alttestamentarische Prophezeiung des Jesaias verweist (Jes. 7,14: „Siehe: die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und ihn Emmanuel nennen.“). Am Boden steht eine Vase mit dem Lilienstengel, dem Symbol der jungfräulichen Mutterschaft. Der von links kommende Engel beugt die Knie und überbringt die göttliche Botschaft auf dem Schriftband in seinen Händen.
Das Mysterium der „Geburt Christi“ hat der Maler, dem nächtlichen Ereignis entsprechend, in erdiges Dunkel gehüllt. Den Stall aus hohen, dünnen Holzpfosten mit einem abgewalmten Dach schützt an der Rückseite ein Weidengeflecht vor Zugluft. Von Ochs und Esel sind nur die Köpfe über der Futterkrippe sichtbar, unter welcher der dreibeinige „Glockspeishafen“ auf offener Feuerstelle auf die Alltagspflichten des „Nährvaters“ hinweist. Josef sitzt am Rahmenrand, hält den Kochlöffel in der Rechten, stützt den Kopf auf seine Linke und blickt sorgenvoll auf seine Familie. Die kniende Maria beugt sich anbetend über das nackt am Boden liegende Jesuskind. Es leuchtet aus dem Dunkel und kündet vom göttlichen Licht, ebenso wie das Weiß im Gewand Marias, im Schriftband des über den Stall schwebenden Gloriaengels, der am Pfosten „aufgehängten“ Windel (einem Messiaszeichen) und der uns heute unverständlichen Anordnung der drei Eier. (Das Ei als Symbol der Auferstehung deutet durch seine Dreizahl auch auf die göttliche Dreifaltigkeit.)
Rahmung, architektonische Elemente, der weiche Faltenfluss der Gewänder, die Zartheit der Darstellung und die liebevollen Details weisen Verwandtschaft mit Wandbildern der Kreuzgänge beim Brixner Dom (10. Arkaden) und im Kloster Neustift (11. Arkade) auf.