Über ganz Tirol verstreut haben sich Darstellungen der Vermählung Mariens erhalten, was ein Hinweis auf die Beliebtheit des Themas der „heiligen“ Hochzeit ist. Zugleich dienten die Abbildungen der theologischen und juristischen Untermauerung der Heirat der hl. Jungfrau Maria mit Josef, dem Nährvater Jesu. Manche der Wiedergaben gehen auf namhafte Künstler zurück. Z.B. verewigte der Innsbrucker Hofmaler Martin Theophil Polak (um 1570-1639) eine Vermählung Mariens auf dem Hochaltarblatt der Innsbrucker Servitenkirche (1628), Franz Anton Zeiller (1716-1794) aus Reutte verwendete das Thema für ein Kuppelfresko in der Pfarrkirche Strassen im Zillertal (1768) und die Schwazer Malerin Maria Anna Moser (1758-1838) für ein kleines Ölgemälde in einer Schwazer Kirche (1822).
Das Sujet war aber auch bei den Malern beliebt, die sich mit der Dekoration von Einrichtungen und Möbeln im bäuerlichen Bereich befassten. Ein besonders schönes Beispiel dieser Art befindet sich auf dem Stubengetäfel des ehemaligen Gasthofes Weißes Rössl in Steeg, wobei man annehmen darf, dass es sich hierbei um die Ausgestaltung eines Gastraumes handelte, der häufig für die Abhaltung von Hochzeitsfeiern in Verwendung stand.
Im Sinne der Malerei des späten Rokoko gab der Maler das Thema der Hochzeit/Vermählung in zwei mit Blumengirlanden gerahmten Medaillons wieder, wobei er die ovalen Bildfelder in zwei große rechteckige Rahmen setzte, die er mit Rocaillen verzierte. Die sich zugewandten Figuren von Maria und Josef wurden je in einem Medaillon abgebildet. Die Medaillons sind nicht nur mit geschwungenen Schleifen und aus kleinen Röschen zusammengesetzten Festons und Girlanden verziert, sondern es scheint, dass diese auch der Befestigung der ovalen Bilder am Getäfel dienen. Um die Oberkante der rechteckigen Rahmen wurde jeweils ein Spruchband gerollt, das die Namen des heiligen Brautpaares enthält.
Maria ist in einem roten Kleid und einem blauen Umhang dargestellt. Als Zeichen ihrer jungfräulichen Unschuld hält sie eine weiße Lilie (auch „Madonnenlilie“) in ihrer linken Hand. Über ihrem Haupt wurde eine Heilig-Geist-Taube abgebildet, die ihre Strahlen auf sie herabsendet. An der Abbildung ist das Anliegen des Malers nachvollziehbar, Maria in dem Moment wiederzugeben, in dem sie Josef ihre Hand für das Anstecken des Eheringes reicht. Daher wurde sie in demütiger Körperhaltung und mit zu Boden gesenkten Augen festgehalten.
In der christlichen Kunst gehört neben der weißen Lilie die Rose zu den gängigen Mariensymbolen. Weil auf dem Medaillon in Steeg aber Lilie und Rose zugleich aufscheinen, muss auf den Zusammenhang dieser Blumenarten mit dem Begriff des „lilium inter spinas“ (= „Lilie unter Dornen“) aufmerksam gemacht werden. Diese Bezeichnung für Maria geht auf das Hohelied Salomos (Hld 2,2) des Alten Testaments zurück und ist als Vorwegnahme bzw. früher Hinweis auf das spätere Wirken der hl. Jungfrau zu deuten. Darüber hinaus ist die gedankliche Verbindung zwischen dem Hohelied und der „Vermählung Mariens“ auf dem Getäfel eines Gastraumes anzumerken, in dem wahrscheinlich häufig Hochzeiten abgehalten wurden. Denn das Hohelied ist auch als literarisch bedeutende Liebeslyrik anzusehen.
Auf dem Teil des Getäfels, das die Darstellung des Josef enthält, scheint links vom eigentlichen Medaillon ein früher entstandenes auf, das nur noch schwach erkennbar ist. Dabei handelt es sich möglicherweise um einen ersten Versuch. Auch Josef trägt ein blaues Gewand mit rotem Futter und rotem Kragen, darüber einen braunen Mantel mit ebenfalls roter Innenseite. Als Zeichen seiner Erwählung durch Gott hält er einen blühenden Stab in seiner Linken.
Im Vermählungsritus haben Trauring (und Kuss) eine lange Tradition. Der (Verlobungs-)Ring gilt als „signum fidei“ (= Treuezeichen) und steht für die eheliche Treue, wohingegen dem Kuss früher auch eine rechtliche Funktion zukam. Diese juristische Bedeutung dürfte auf Kaiser Konstantin und einen Rechtsspruch aus dem Jahr 336 zurückgehen, nach dem eine Braut, deren Verlobter vor der Hochzeit verstarb, dann als rechtmäßig versprochen galt, wenn sie vor ihrer Hochzeit schon einmal öffentlich geküsst worden war. In diesem Fall stand ihr die Hälfte des Brautschatzes zu.
Aus diesen Zusammenhängen geht hervor, dass die wiederholte Darstellung der Vermählung Mariens theologische und juristische Ursachen hatte. Mit der Wiedergabe des Themas – vor allem im Moment der Übergabe des Ringes – sollte ausgesagt werden, dass Maria zwar zur jungfräulichen Gottesgebärerin auserwählt worden war, ihre Heirat mit dem Nährvater Jesu aber rechtmäßig vollzogen wurde. Aus diesem Grund wurden in der älteren Kunstgeschichte die Szenen der Verkündigung an Maria, die Geburt Christi und die Vermählung mit Joseph nicht selten auf einem einzigen Bild zusammengeführt (vgl. Evangeliar Ottos III., 998-1000).