Die zwischen 1620-1654 realisierte Karlskirche bei Volders zählt nicht nur aufgrund ihrer Nähe zur Inntalautobahn zu den bekanntesten Kirchenbauten in Tirol. Es ist vor allem der exotische Reiz des ersten barocken Zentralbaues Nordtirols, der Besucher in seinen Bann zieht. Die Kirche geht auf eine Stiftung des Haller Arztes Hippolyt Guarinoni (1571-1654) zurück, der als „dilettierender Architekt“ auch für den Entwurf verantwortlich zeichnete. Der Sakralraum sollte die erste Bauetappe zu einem in einsamer Lage geplanten Klosterkomplex sein. Zeitlich wurde er in Zusammenhang mit einer überwundenen Pestepidemie in Tirol gespendet und ist Ausdruck einer starken gegenreformatorischen Bewegung. Bezeichnenderweise ist die Kirche einem Hauptvertreter der Gegenreformation, dem hl. Karl Borromäus, geweiht.
Der Arzt und Wissenschaftler Guarinoni veröffentlichte mehrere, mit Kupferstichen ausgestattete Bücher zu medizinischen Themen und platzierte in einem seiner Werke einen Idealplan der Karlskirche. Der Schöpfer des Stiches war der in Innsbruck und Schwaz ansässige Kupferstecher Andreas Spängler (1589-ca. 1669).
Guarinoni gab dem von ihm verfassten Buch „Chylosophiae academicae artis Aesculapiae…“ (1648) einen großen Stich von Andreas Spängler mit einer idealen Ansicht der Karlskirche von Volders bei. Der Arzt verfolgte in Bezug auf das Bauprogramm der Karlskirche die Vorstellung einer „sprechenden“ Architektur. Obwohl die Kirche zu Ehren des hl. Karl Borromäus errichtet werden sollte, maß er der Darstellung Mariens ebenso hohen Wert bei. Auf Spänglers Stich manifestiert sich das in Form von Strahlen, die von einer Wolkenbank auf die einzelnen Bauteile der Kirche ausgehen. Der Himmelskönigin wird auf diese Art die zentrale Rotunde der Kirche zugeordnet und somit eine dominierende Rolle in diesem Bau eingeräumt.
Weitere Strahlen führen zu den kleineren Rotunden, die den Heiligen Karl Borromäus, Ignatius von Loyola und Franziska Romana zugewiesen werden. Damit präsentiert sich die Karlskirche als ein in Architektur gegossenes Sinnbild für die Dreizahl, was sich vor allem in den drei Rotunden des Stiches und im kleeblattförmigen Ausschwingen des Turms ausdrückt (der übrigens nicht in dieser Weise verwirklicht wurde). Guarinoni war als Verehrer der Trinität bekannt. Für die Raumwirkung in der Karlskirche ist das von Bedeutung, da die Dreifaltigkeit bzw. die mystische „Einheit in der Dreiheit“ vor allem in Pestzeiten um Hilfe angerufen wurde.
Bereits die ursprüngliche Fassade bestand aus drei vertikalen Achsen – die heute hier befindlichen Kapellen wurden später angebaut. Über dem Portal sind in einer seichten Lünette der hl. Karl Borromäus als Namenspatron, der hl. Ignatius von Loyola und die hl. Franziska Romana dargestellt. Auf dem Stich wird Maria mit dem Kind im Giebelfeld darüber wiedergegeben.
Auf dem Kupferstich ist die Vorhalle noch in ihrem ursprünglichen Zustand zu sehen. An der Stelle, wo die drei Apsiden aufeinander treffen, setzte Guarinoni zusätzlich Diagonalnischen ein. Mit diesem Kunstgriff gelang es ihm, die Raumgrenzen nahtlos ineinander übergehen zu lassen (in der Fachsprache: zu verschleifen). Dabei nimmt der Kirchenbesucher die Wandscheiben in Form eines ein- und ausschwingenden Fließens ohne Ecken und Kanten wahr. Ein Effekt, der durch das von oben in den Kirchenraum geführte Licht verstärkt wird.
Mit den ovalen Fensterformen, die sich um den ganzen Bau rhythmisch fortsetzen, unterstützte Guarinoni den Gesamteindruck eines Sakralraumes, der in einem hierarchischen System strukturiert wurde. Dieser setzt sich aus Haupt- und Nebenteilen zusammen, das Spiel mit der Dreizahl überträgt sich aber auch von der Fassade auf die dreidimensionale Ordnung der Architektur. Um diesen Aspekt am Kupferstich deutlich zu machen, positionierte der Kupferstecher Spängler über der Kirche die bereits beschriebene Wolkenbank mit der Himmelskönigin und dem Jesuskind, flankiert von Joachim und Anna.
Guarinoni gelang es, italienische Formen des frühen Barock erstmals in Tirol durchzusetzen. Ein Zentralbau vom architektonischen Schema der Karlskirche war hierzulande vorher noch nie realisiert worden, weshalb die Frage angebracht ist, von woher der „dilettierende Architekt“ Anregungen für diesen spezifischen Zentralbau bezog. Die Antwort liegt u.a. im Dom von Salzburg, bei dem der Bautyp des Zentralraums in den Jahren 1614-1618 auf epochale Weise umgesetzt wurde.