In den einheimischen Kunstsammlungen hat sich auch allerhand Groteskes erhalten, z.B. Kupferstiche mit zwei tirolerisch anmutenden Figuren, die sich „Margl Wolkenthoulerin“ und „Christl Vestnbalkh“ nennen. Laut Begleittext handelt es sich bei Margl um eine „Mayr-Thirn auff der grossn Olbm im Zillersberg“ (= Magd auf der Alm) und bei Christl um einen Tiroler Burgschützen, der beim französisch-bayerischen Einfall 1703 gekämpft hat.
Schon auf den ersten Blick ist an den Abbildungen auffallend, dass sie einen besonders derben Humor widerspiegeln. Die Blätter gehen auf schon im 17. Jahrhundert entstandene satirische Stiche des französischen Zeichners Jacques Callot (1592-1635) zurück, nach dem der Begriff der „Callot-Figuren“ geprägt wurde. Diese fanden entweder als Drucke, Serien aus Porzellan oder Plastiken für Parks weite Verbreitung. Die „Erfindung“ der zwergenhaften, verwachsenen oder deftig-humoresken Gestalten geht auf Aufträge der Medici zurück, an deren Hof sich Callot für längere Zeit aufhielt. Ungefähr hundert Jahre später erschienen in Amsterdam die ersten Callot nachempfundenen Radierungen. Zeitgleich wurden weitere Kopien und Interpretationen seiner Figuren auch in Augsburg aufgelegt.
Die beiden Tiroler Margl und Christl waren ursprünglich Teil einer Kupferstichserie, die mit den Callot-Zwergen nur noch den Namen gemeinsam hat. Der Unterschied zwischen einer „echten“ Callot-Figur und einer Nachahmung ist am besten am Rahmen der Blätter erkennbar, der den Originalstichen fehlt. Denn die späteren Auflagen wurden mit zwei Platten gedruckt: einer großen mit dem Rahmen, der sich aus architektonisch ausgeformtem Bandwerk mit eingeflochtenen Grotesken zusammensetzt, und einer kleinen mit dem kolorierten Mittelbild. Auf dem Blatt mit der Tirolerin Margl ist am unteren Rand des Rahmens ein Harlekin erkennbar, der aus einem Teller Suppe löffelt. Diese hier nur am Rande abgebildete Gestalt hat unter allen Callot-Figuren einen besonderen Entwicklungsprozess durchgemacht. Der Harlekin mit seiner Maske und seinem gemusterten Trikot erfreute sich nämlich überall so großer Beliebtheit, dass er in beträchtlicher Anzahl und den witzigsten Variationen wiedergegeben wurde, v.a. in Form von Porzellan-Figuren.
Wie erwähnt sind die Callot-Zwerge eine Schöpfung des Franzosen Jacques Callot, der sich nach einer ersten Ausbildung in seiner Heimat einer Zigeunertruppe anschloss und mit ihr nach Italien zog. Nach einigen weiteren Lebensstationen gelang es ihm, in Florenz Kontakt zum Hof der Medici zu knüpfen. 1614 veröffentlichte er einen aus 16 Stichen bestehenden Zyklus mit Darstellungen von Begebenheiten aus dem Leben des Großherzogs Ferdinand I. de’Medici (1549-1609) und wurde im selben Jahr von Cosimo II. de’Medici (1590-1621) zum Hofkünstler bestellt. Während eines Aufenthalts am toskanischen Hof stellte Callot auch die bekannte, aus 20 Stichen bestehende Serie „Varie figure gobbi“ (gobbo = Buckel) her. Es waren diese 1616 aufgelegten Blätter, die später häufig als Vorlage für Krüppel und Zwerge verwendet wurden. 1617 erschien ein Cosimo de’Medici gewidmeter und aus 50 Stichen bestehender Zyklus „Capricci di varie Figure“, in dem er toskanische Orte und ihre Einwohner treffend karikierte, und neben anderen Werken entstand in der Zeit von 1618 bis 1620 die Folge „Tre Pantaloni“ mit Motiven aus der italienischen Commedia dell’Arte. Letztere zählt zu Callots Meisterwerken. Nach dem Tod Cosimos endete auch Callots Zeit in Italien und er kehrte in seine Heimatstadt Nancy zurück.
Die südländischen Szenen und grotesken Figuren kamen vor allem dem Publikumsgeschmack nördlich der Alpen entgegen, was die große Zahl von Nachempfindungen in Form von Plastiken für Parkanlagen, Figürchen aus Meißner oder Wiener Porzellan, Kupferstichen und Radierungen belegt. Es ist charakteristisch für die Callot-Zwerge, dass sie immer als relativ umfangreiche Serien herausgegeben wurden, um das Interesse der Sammler wach zu halten.
Um 1700 entsprach es dem Zeitgeschmack, sich an lächerlichen Geschöpfen aller Art zu ergötzen und zu amüsieren. Das führte dazu, dass 1716 in Amsterdam eine Art neue Fassung erschien. Sie trug den Titel „Il Callotto resuscitato. Oder Neü eingerichtetes Zwerchen Cabinet“ und enthielt 57 Stiche mit Begleittexten in mehreren Sprachen. Der Band war so erfolgreich, dass er 1720 erweitert wurde. Etwa zeitgleich erschien eine Kopie von „Il Callotto resuscitato“ in Augsburg, die vom Kupferstecher Elias Beck (auch Heldenmuth, 1679-1747) aufgelegt worden sein dürfte. Sogar noch 1921 erschien in Zürich ein Reprint.
Bei „Il Callotto resuscitato“ handelte es sich um Kupferstiche, die sich u.a. auch mit (zum Teil nicht ganz jugendfreien) Themen aus Tirol auseinandersetzten. Das Amsterdamer bzw. Augsburger Zwergen-Buch muss als eine Art „Kasperltheater“ angesehen werden. Die Figuren zeichnen sich durch Kleinwuchs und Kurzbeinigkeit aus, im Unterschied zu den Schöpfungen Callots können sie aber nicht mehr als spotthaft wiedergegebene Missgeburten betrachtet werden. Den humorvollen Gestalten wurden auch betont witzige Namen gegeben, z.B.: „Hali Nasili Pascha“, „Nutsch Moloff“, „Ragotzischer Husarenoberst“ oder eben „Margl Wolkenthoulerin“ (= „Wolkentalerin“).