Aus der näheren Umgebung von Innsbruck stammt ein kleines Gemälde, das den Tod vor einem Lebensrad wiedergibt. Das Lebensrad steht für den Lauf – das Auf und Ab – des Lebens und ist in Zehnerschritte für die Lebensjahre eingeteilt. Es ist mit männlichen Figuren besetzt, die das Wachstum des Menschen – beginnend mit dem Wickelkind, dem Kind, dem Jugendlichen, dem Menschen in seiner „Blüte“ in der Mitte des Lebens – und den allmählichen Übergang zum Alter und den Tod darstellen. Die „Reise“ des Menschen endet am Friedhof, der am unteren Bildrand mit einer Kirche im Hintergrund abgebildet ist.
Darunter ist der folgende Spruch aufgemalt: „Bedracht o Mensch, dein Lebenslauf, / So geht es auf und ab. / Das Rad, schwingt dich in die Höch hinauf, / Dann unter biß ins Grab. / Mach dich von Kindheit auf bereit: / Und dencke an den Tod, / Daß du dort in der Ewigkeit, / Kanst ruhen stets bey Gott.“ Vom Gerippe der Figur des Todes hängt ein schwarzer Mantel bis zum Boden herab. Verursacht durch dieses dominante Element in der Bildkomposition erschließt sich erst auf den zweiten Blick, dass es der Tod ist, der die Kurbel des Lebensrades dreht. Das gibt Hinweis darauf, dass der Gestalter des Gemäldes inhaltlich vor allem auf die Unsicherheiten im Lauf des Lebens eingehen wollte. Für die Umsetzung des Themas bediente er sich eines traditionellen kunsthistorischen Motivs, der „Vanitas“ (= Vergänglichkeit).
In den vergangenen Jahrhunderten unterschieden sich die Auffassungen über Leben und Tod wesentlich von den heutigen. Die Sterberaten waren hoch, es herrschte große Unsicherheit in Bezug auf die zu erwartende Lebensspanne und die Arten der Todesursachen wichen deutlich von den gegenwärtigen ab. Darüber hinaus waren die sozialen Unterschiede stark ausgeprägt. Das führte u.a. dazu, dass Krankheiten – je nachdem, in welcher Gesellschaftsschicht sie auftraten – unterschiedliche Heilungschancen hatten.
Dennoch vermittelt das kleine Gemälde – es befand sich ursprünglich in einer Friedhofskapelle – noch einen weiteren inhaltlichen Aspekt. Dieser bezieht sich auf das Verhältnis des Menschen zum Tod in der Zeit um 1800: Bei Krankheit bzw. in der Stunde des Todes wich das Vertrauen auf Gott einem Vertrauen in die Ärzte. Dieser Mentalitätswandel führte im Lauf des 19. Jahrhunderts zu einer zunehmenden Diesseits-Orientierung des Lebens und Sterbens. Im Vergleich zu heute konnte die Medizin des 19. Jahrhunderts aber bei weitem noch nicht zu einer echten Lebensverlängerung beitragen. Daher gelangen auf dem volkstümlichen Gemälde die „gemischten Gefühle“ im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Religion zum Ausdruck.
Obwohl hier nicht mehr Gott am Rad des Lebens dreht, sondern der Tod, muss das Bild unter inkonografischen Gesichtspunkten als Verarbeitung eines alten Themas der Kunst angesehen werden: Es ist eine „Vanitas“-Darstellung.
Unter „Vanitas“ (lat. „leerer Schein“) versteht man die künstlerische Interpretation aller Vergänglichkeit des irdischen Lebens. In theologischer Hinsicht geht das Thema auf eine Stelle im Buch Kohelet des Alten Testaments zurück. Hier heißt es: „Es ist alles eitel“ (Koh. 1,2), wobei der veraltete Begriff „eitel“ als „nichtig“ zu interpretieren ist.
Mit dem „Vanitas“-Motiv soll aufgezeigt werden, dass der Mensch sein Leben nicht selbst bestimmen, dass er den Verlauf seines irdischen Daseins nicht wirklich eigenverantwortlich steuern kann. Es bezieht sich auf den Konflikt zwischen menschlicher Demut und Selbstbewusstsein. Kunstwerke dieses Inhalts mit „Vanitas“-Symbolen oder -Attributen (Sanduhr, Totenkopf, Gerippe, verwelkende Blumen etc.) waren in der Renaissance und vor allem im Barock beliebt.
Die Besonderheit des kleinen Bildes mit dem Tod und dem Lebensrad ist, dass es eine gewandelte „Vanitas“-Auffassung widerspiegelt: Im Verlauf des 19. Jahrhunderts trat die Vorstellung von der Überwindung der Demut an die Stelle des ehemaligen Spannungsbogens von Demut und Selbstbewusstsein. Aus diesem Grund ist im Spruch am unteren Rand des Bildes um 1900 nur noch davon die Rede, dass man an den Tod denken soll. Es wird aber nicht mehr davon gesprochen, dass der Glaube, das Gebet, der Besuch der Heiligen Messe, der Empfang der Heiligen Sakramente und ein guter Lebenswandel zu einer besseren Bewältigung von Leben und Sterben beitragen.