In einer kleinen Kapelle im Kaunertal hat sich ein bemerkenswertes Gemälde mit der Darstellung der „Geburt Christi“ erhalten. Das Bild ist das Werk von Franz Laukas (1690-1765), einem bedeutenden Barockmaler aus Prutz, der das Sujet mit den Augen der religiösen bäuerlichen Bevölkerung wiedergab. Denn im Unterschied zu anderen Malern, die das Motiv der Geburt Jesu vor dem Hintergrund der vergeblichen Herbergssuche und der Bescheidenheit der Heiligen Familie sahen und die das Thema immer in ärmlich anmutenden Ställen festhielten, entwarf der Oberländer Künstler eine außergewöhnlich anmutende Weihnachtsszene: Er stellte die Heilige Familie bei der Zubereitung einer Speise dar. Maria nimmt die Bildmitte ein und rührt in einer Pfanne über einem offenen Feuer ein Mus an. Josef befindet sich hinter ihr. Er sitzt an der Wiege des Jesuskindes. Der Maler hat in die Darstellung auch drei Engel aufgenommen: Zwei von ihnen schüren mit Zange und Blasebalg das Feuer, der dritte hält auf schützende Weise eine Garbe (Bündel aus Getreidehalmen) über das Christkind. Weil es sich bei Darstellungen der „Geburt Christi“ um Andachtsbilder handelt, sind in der Kunstgeschichte Weihnachtsszenen, in denen auch gekocht wird, eher selten.
Andachtsbilder sind Gemälde, die den Gläubigen bei der religiösen Einkehr, dem Gebet oder der Meditation unterstützen sollen, weshalb bei diesem Bildgenre die Nähe zur Realität eine untergeordnete Rolle spielt. Weihnachtsszenen wurden in den meisten Fällen in einer Höhle oder einem ärmlichen Stall festgehalten, denn ihnen kam nicht zuletzt die Aufgabe zu, das Mitgefühl bzw. das Mitleid des Betrachters zu wecken.
Im Gegensatz dazu war es dem Maler Franz Laukas ein Anliegen, die „Geburt Christi“ etwas wirklichkeitsgetreuer wiederzugeben, als dies üblicherweise der Fall ist. Ihm ging es offensichtlich darum, die Mutter- bzw. Vaterrolle der „heiligen Eltern“ in den Vordergrund seiner Abbildung zu rücken, weshalb er sie nicht vor dem Jesuskind andächtig kniend darstellte. Er gab sie als hingebungsvolle Beschützer des zukünftigen Heilands wieder.
In Zusammenhang mit den Themen Schutz und Pflege des Jesuskindes sind zwei Aspekte am Gemälde von Franz Laukas hervorzuheben: Die Garbe, die ein Engel schützend über Christus hält, und die Tatsache, dass Maria ein Mus für ihre Familie kocht. Beides sind Hinweise darauf, dass es dem Maler bei der Gestaltung seines Bildes darauf ankam, dem kleinen Heiland sowohl jeden „Beistand von oben“ als auch alles weltliche, leibliche Wohl zukommen zu lassen.
Für ein Bündel Kornähren wird auch der Ausdruck „Garbe“ verwendet, der in einer anderen Form des Begriffes auch als „Lichtgarbe“ bekannt ist. In diesem Wortzusammenhang wird deutlich, dass der Künstler das Jesuskind nicht mit einem Heiligenschein als Zeichen seiner Ähnlichkeit mit Gott festhalten wollte, sondern eine andere Art der Darstellung seiner Verbundenheit mit dem „Vater im Himmel“ suchte. Im übertragenen Sinn steht die Garbe in der Hand des Engels für das göttliche Licht, also für die Obhut Gottvaters über das auserwählte Kind.
In der rechten Bildhälfte ist Maria beim Kochen über einem offenen Feuer abgebildet. Mit ihrer linken Hand hält sie eine Stielpfanne, mit ihrer rechten rührt sie darin. Damit verlieh ihr der Künstler die für eine kochende Frau typische Körperhaltung. Die Annahme, dass es sich bei der zubereiteten Speise um ein Mus handelt, steht mit der Metapher des Getreidebreis für eine einfache, bescheidene Speise in Verbindung, die in der Vergangenheit für einen Großteil der Bevölkerung Hauptnahrungsmittel war. Im Weihnachtsbild von Franz Laukas steht das Mus somit als Symbol für die Menschwerdung des Gottessohnes und signalisiert, dass er ein Mensch unter Menschen ist.
In Tirol waren verschiedene Formen von Mus bis in die jüngere Vergangenheit Hauptspeise der bäuerlichen Bevölkerung. Das Besondere an dieser breiartigen Kost ist aber, dass sie zu den ältesten Formen von gekochter Ernährung überhaupt gehört und weltweite Verbreitung fand. Das Ur-Rezept der Mus-Zubereitung veränderte sich im Lauf der Jahrtausende nur geringfügig. Denn der Vorteil von breiartigen Gerichten bestand vor der Erfindung von Backofen und Brot darin, dass man für ihre Bereitung weder Ofen noch Mühle benötigte. Das Mus war die früheste Art, Getreide zu „kochen“: Die Steinzeitmenschen dürften die Körner auf heißen Steinen geröstet, anschließend zerrieben und dann in einem Gefäß aus Leder, Ton oder Korbgeflecht mit Wasser verrührt haben, das mit Steinen erhitzt war. Dazu benötigten sie nicht einmal feuerfeste Töpfe.
In Verbindung mit dem Gemälde von Franz Laukas ist auch ein Gesetzestext aus dem 8. Jahrhundert n.Chr. erwähnenswert, der über die Ernährung von Kindern Auskunft gibt, die in Pflege gegeben werden mussten: „Die Kinder der unteren Schichten bekommen gerade ausreichend viel Brei aus Hafermehl und Buttermilch oder Wasser, zu dem alte Butter gegeben wird. Die Söhne der Oberschicht bekommen Brei satt, aus Getreidemehl und frischer Milch, dazu frische Butter. Die Söhne von Königen bekommen Brei aus Weizenmehl und frischer Milch, dazu Honig.“ (Quelle: von Paczensky, G. und Dünnebier, A.: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, München 1999, S. 32)