Fast jede Tirolerin und jeder Tiroler kennt das Gnadenbild „Mariahilf“, das in unzähligen Kopien Häuser schmückt, auf Bildern und Votivtafeln abgebildet wurde und nach dem einige Kirchen benannt sind.
Beim Mariahilf-Bild handelt es sich um das wohl „erfolgreichste“ religiöse Thema im gesamten Alpenraum. Seine enorme Beliebtheit ist darauf zurückzuführen, dass die Gottesmutter auf den Darstellungen nicht als vom weltlichen Leben abgerückte Heiligenfigur wiedergegeben wurde, sondern als eine „normale“ Frau und Mutter. Das steht mit der Entstehungsgeschichte des ersten Mariahilf-Bildes von Lukas Cranach d.Ä. in Verbindung, der das Gemälde um 1520 vor dem Hintergrund seiner persönlichen Freundschaft mit Martin Luther und seines protestantischen Glaubens schuf. Das Bild befand sich ursprünglich in der Gemäldesammlung des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen und gelangte eigentlich „durch Zufall“ nach Tirol, wo es seit 1650 am Hauptaltar des Domes zu St. Jakob in Innsbruck zu sehen ist. Seither wurde dieses „Urbild“ tausende Male mehr oder weniger bildtreu kopiert, um den Schutz und die Fürsprache Mariens – wörtlich die Bitte „Maria hilf!“ – auf die unterschiedlichsten Anliegen der Gläubigen zu übertragen.
Das Mariahilf-Bild von Lukas Cranach hat eine bemerkenswerte Provenienzgeschichte – wie man es in der Fachsprache nennt: Lukas Cranach d.Ä. (Kronach 1472-1553 Weimar) war einer der bedeutendsten Maler und Grafiker der Renaissance im deutschsprachigen Raum. Sein Nachname Cranach dürfte sich von seinem Geburtsort Kronach herleiten. Zuerst war er in Wien tätig, später in Wittenberg, wo er Martin Luther (1483-1546) kennen lernte und sich mit ihm anfreundete. Cranach war nicht nur als Künstler, sondern u.a. auch als Diplomat, Gastwirt, Apotheker, Verleger etc. aktiv. Über den Zeitpunkt der Entstehung des Mariahilf-Bildes existieren verschiedene Angaben, wahrscheinlich malte es Cranach zwischen 1514 und 1537.
Der österreichische Erzherzog Leopold V., „der Fromme“ (1586-1632), weilte 1611 noch in seiner Funktion als Bischof von Passau am sächsischen Hof in Dresden, wo er das Gemälde als Gastgeschenk überreicht bekam. Auf diesem Weg gelangte es zuerst nach Passau. Nachdem Leopold V. 1623 – von seinen kirchlichen Würden dispensiert (1626 heiratete er Claudia de‘ Medici) – Tiroler Landesfürst geworden war, gelangte es nach Innsbruck. Es wird berichtet, dass Leopold V. das Bild immer mit sich führte. Nachdem Tirol wiederholt im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) bedroht war, wurde das Mariahilf-Bild bei Andachten zeitweise öffentlich ausgestellt. Seit 1650 befindet es sich als Schenkung von Erzherzog Ferdinand Karl (1628-1662, ältester Sohn Leopolds V.) im Innsbrucker Dom.
Lukas Cranach stellte auf seinem Gnadenbild Maria nicht als Himmelskönigin dar, sondern – wohl unter dem Einfluss Martin Luthers – als Mutter, als Frau mit Kind aus der einfachen Bevölkerung. Cranach war ein evangelischer Christ und berücksichtigte Luthers Denkweise in der Form, dass er keine abgerückte Heiligendarstellung, sondern einen Menschen aus dem wirklichen Leben abbildete. Maria ist als mütterlich-barmherzige Frau ohne Heiligenschein, ohne Sterne und ohne Wolken dargestellt. Unter diesen Voraussetzungen wurde der „Urtyp“ vieler Mariahilf-Bilder bis heute kopiert und ziert nicht nur die Straßenfassaden vieler Häuser, vor allem in Innsbruck, sondern wurde auch auf andere Weise verewigt.
Am Beispiel des Altarblattes der Mariahilf-Kirche von Nauders lässt sich das Thema der Übertragung der Wundertätigkeit des Ur-Mariahilf-Bildes gut darstellen: Auf dem zwischen 1730 und 1740 entstandenen Gemälde tragen Engel das Mariahilf-Bild quasi nach Nauders. Eine Unzahl von Votivbildern zeigt auf, zu welchen Wundern die Anrufung der Gottesmutter „Maria Hilf“ geführt hat. Auf den Tafeln ist die barmherzige Himmelskönigin jeweils in einem Strahlenkranz über der Votivszene abgebildet.