An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden vielerorts Krankenhäuser und Sanatorien. Die neuen Krankenhäuser dienten der Volksgesundheitspflege. Sie entstanden vor dem Hintergrund des zunehmenden Wissens über den Verlauf und die Heilung von Krankheiten und den damit gestiegenen Anforderungen an die Hygiene. Doch ein Blick auf das 1909 von der Firma Johann Huter und Söhne realisierte Gebäude des Sanatoriums Kettenbrücke in Innsbruck veranschaulicht, dass die im Verhältnis zu den Krankenhäusern exklusiver gestalteten Sanatorien große Ähnlichkeit zu den zeitgleich entstandenen Hotels aufweisen.
Nicht nur die Wörter „Hotel“ und „Hospital“ haben eine gemeinsame Wurzel. Auch in architektonischer Hinsicht wurden sie in den meisten Fällen als „einhüftige“ Anlagen konzipiert, d.h., dass im Inneren der Gebäude alle Hotel- bzw. Patientenzimmer von einem zentralen Verteilergang nur in eine Richtung aus gingen und zur Sonne und zur Aussicht orientiert wurden. Auf der anderen Seite des Ganges wurden Versorgungseinheiten wie Aufzüge, WCs etc. angelegt. Der Grund für das ähnliche Erscheinungsbild von Hotels und Sanatorien liegt darin, dass viele von ihnen – vor allem in den Gebirgsregionen – von Lungenkranken frequentiert wurden.
Zu den großen „Volkskrankheiten“ des 19. Jahrhunderts gehörte die Tuberkulose. Die oft tödlich verlaufende Lungenkrankheit konnte damals ohne Antibiotika noch nicht auf medikamentösem Weg geheilt werden und es gab noch keinen Impfstoff. Aus diesem Grund wurde die Tuberkulose von weiten Teilen der Bevölkerung als Zivilisationsleiden und als tief liegende „gesellschaftliche Krankheit“ betrachtet und man gab den allgemeinen Lebensbedingungen in den schnell wachsenden Industriestädten die Schuld an ihrer starken Ausbreitung. Denn der geeignete Nährboden für die Tuberkel-Bazillen waren z.B. unpasteurisierte Milch, überbelegte Wohnungen ohne hygienisch wirksame Sanitäreinrichtungen oder dunkle, feuchte (Arbeits-)Räume.
Nur wer als Lungenkranker genug Geld hatte, konnte sich einen Aufenthalt in der – auch in hygienischer Hinsicht – sauberen Gebirgsluft leisten. Da bei Tuberkulose eine Langzeittherapie in der Sonne und an der frischen Luft notwendig war, beeinflusste das die architektonische Gestaltung von Hotels und Sanatorien in der Gründerzeit (spätes 19. und frühes 20. Jahrhundert) wesentlich. Der Unterschied zwischen einem Hotel und einer Heilanstalt bestand lediglich darin, dass das Sanatorium hygienisch-sachlich eingerichtet war, während die Hotels mit viel „Plüsch“ ausgestaltet wurden. Rein äußerlich sind jedoch aufgrund der vielen Balkone oder Loggien kaum Unterschiede zu erkennen.
Das Sanatorium der Barmherzigen Schwestern im Innsbrucker Stadtteil Saggen wurde von der Innsbrucker Baufirma Johann Huter und Söhne nach eigenen Plänen im Stil des Neobarock errichtet. Die monumentale, dreigeschossige Anlage verfügt über einen symmetrischen Aufbau: Von einem Mittelrisalit gehen seitlich Flügel aus, der obere Abschluss wird von einem Mansardenwalmdach (Dachausbau 1942) gebildet. Im Mittelrisalit befindet sich der Kapellenchor, der über einem Dachabschluss mit Zwiebelhaube und Dachreiter auch äußerlich gekennzeichnet wurde. Der deutlich auskragende Bauteil im Zentrum geht an seinen Seiten in Vorbauten über, die mit übereinander liegenden Loggien ausgestattet sind. Auch an den an Seitenrisalite erinnernden Gebäudeteilen wiederholt sich das Motiv der in Vertikalrichtung angeordneten Loggien.
Ursprünglich befand sich der Haupteingang an der südlichen Schmalseite des Gebäudes, was heute nur noch an den leicht ansteigenden Zufahrtsrampen, dem Portal mit darüber liegendem Balkon und Balustrade und der Aufschrift „Sanatorium“ erkennbar ist. Die original erhaltene, zweiflügelige Eingangstüre verfügt über eine aufwändige ornamentale Vergitterung der Glasfelder und der Lünette. Hinter dem ehemaligen Haupteingang liegt ein Vestibül (repräsentative Eingangshalle), in dem an der Seitenwand das Mosaik „Heiliger Josef/ beschütze dieses Haus“ angebracht ist. Über einige Stufen und durch eine Flügeltüre gelangt man in das frühere Foyer (großer Vorraum), das zum Erdgeschossflur und zum südlichen Stiegenhaus überleitet. Die Treppe wurde mit einem Eisengeländer ausgestattet, dessen geometrische Verzierung wie eine „Rahmung“ um das ovale Treppenauge geführt ist.
Die in der Mitte des Gebäudes untergebrachte Kapelle ist ein dreischiffiger Raum, der sich über das erste und zweite Obergeschoss erstreckt. Die Belichtung erfolgt über die z.T. mit Glasmalereien ausgestatteten Fenster des dreiseitigen Chorraumes. Dargestellt sind der hl. Vinzenz von Paul (Patron des Ordens der Barmherzigen Schwestern) und die hl. Katharina. Auf dem zentralen Deckengemälde ist die Dreifaltigkeit dargestellt.
Die übrigen Innenräume des Sanatoriums mussten den sich ändernden medizinischen Anforderungen phasenweise angepasst werden – größere Umbauten und Erweiterungen erfolgten 1963 und 1972 -, weshalb mit Ausnahme der einhüftigen Anlage des Komplexes, der Dimensionierung und Ausrichtung der Patientenzimmer kaum originale Bausubstanz erhalten ist. Dennoch ist das architektonische Grundkonzept am Äußeren des Sanatoriums in seiner Einheitlichkeit auch in Bezug auf seine indifferente Haltung zwischen Hospital und Hotel noch gut ablesbar.