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Vortragekreuze aus dem Oberinntal  (ab 1735)

In der Region Imst-Pitztal haben sich seit dem 18. Jahrhundert einige sehr schöne Vortragekreuze erhalten. Es handelt sich dabei um künstlerisch hochwertig ausgeführte Kruzifixe, die an einer Stange befestigt werden. In der Liturgie finden diese Kreuze vor allem bei Prozessionen Verwendung, u.a. bei den Palmprozessionen am Palmsonntag, den Fronleichnams-, Bitt- und Flurprozessionen, aber auch bei Wallfahrten, beim feierlichen Einzug in die Messe und bei Begräbnissen. In der Vergangenheit dienten viele Vortragekreuze zugleich als Altarkreuze, weshalb manche von ihnen noch über Befestigungsmöglichkeiten für eine Stange verfügen.

Die mittelalterlichen Vortragekreuze waren meistens aufwändig gestaltet und wurden im Metallgussverfahren hergestellt. Die Kreuzarme waren häufig in Form eines Dreipasses oder Medaillons ausgebildet. Da man bei Prozessionen auch die Rückseite der Kreuze sehen konnte, wurde auch diese verziert. Die ältesten Beispiele dieses Typs stammen aus dem 6. und 7. Jahrhundert und befinden sich in Italien. Bezogen auf den Tiroler Raum stammen die ältesten Stücke aus dem 13. Jahrhundert und sind z.B. im Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck zu besichtigen.

Seit frühchristlicher Zeit ist die bildliche Darstellung von Christus am Kreuz allen Gläubigen ein Zeichen seines Sieges über den Tod. Das lat. „crucifixus“ bedeutet wörtlich „der ans Kreuz Geschlagene“ und das ist hinsichtlich der plastischen Darstellung Christi interessant, denn im Verlauf der Geschichte gab es einen bedeutenden Wandel: Vom Frühmittelalter bis ins Hochmittelalter wurde Christus als vergeistigter Sieger über den Tod, mit offenen Augen und mit einer Krone als Zeichen für seine Herrscherfunktion abgebildet. Im Lauf des 13. Jahrhunderts änderte sich diese Darstellungsweise und das Leiden und Sterben Christi am Kreuz trat in den Vordergrund. Das hatte zur Folge, dass Christus fortan mit geschlossenen Augen und zur Seite gesenktem Haupt wiedergegeben wurde. Darüber hinaus wurde in dieser Ära die Krone des Herrschers von der Dornenkrone des Gegeißelten abgelöst und der „Vier-Nagel-Typus“ durch den „Drei-Nagel-Typus“ ersetzt.

Auch in späteren Jahrhunderten blieb die heilsgeschichtliche Bedeutung des Opfertodes Christi für alle Kreuzesdarstellungen maßgeblich, wie ein Beispiel aus einer Wallfahrtskirche bei Imst aus der Zeit um 1735 veranschaulicht. Das Vortragekreuz ist aus Holz geschnitzt, das abschließend gefasst (bemalt) und stellenweise vergoldet wurde. Der Kopf Christi ist nach rechts geneigt und wird von drei Strahlenbündeln akzentuiert. Die Gestaltung des ausgemergelten Körpers, des kantigen Kopfes und der Gesichtsausdruck entsprechen ganz dem Wunsch, das Leiden Christi zum Ausdruck zu bringen. Der expressive Schwung des Lendentuches ist Teil dieses Konzeptes.

Im Unterschied zu dieser Art der Darstellung wurde der Christus auf dem Vortragekreuz einer Pitztaler Pfarrkirche als ein gegen den Tod Ankämpfender wiedergegeben. Dieses Kruzifix ist in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit, zumal es Christus auch nicht mit einem ausgezehrten Körper zeigt, sondern mit einem anatomisch genau abgebildeten, sogar athletisch wirkenden Körperbau. Der Kopf des Gekreuzigten ist von einem goldenen Strahlenkranz umgeben und die Enden der Kreuzarme gehen in Dreipässe über. Auch das Dreipass-Motiv ist in Zusammenhang mit diesem gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Vortragekreuz bemerkenswert, weil es sich hierbei um ein aus der Gotik stammendes Motiv handelt. Der Künstler des Kreuzes wandelte den Dreipass durch eine Verzierung mit Akanthus-Dekor im Sinne des Hochbarock ab. Eine eindeutige Zuschreibung zu einem Künstler aus der Region ist nicht möglich, es liegt aber der Schluss nahe, das Vortragekreuz könnte von einem Mitglied der Imster Bildhauerdynastie Witwer (wichtigste Vertreter: Jakob, 1679-1758, und Josef Georg, 1719-1785, beide von der süddeutschen Bildhauerkunst des Hochbarock beeinflusst) geschaffen worden sein.

Das letzte Vortragekreuz, das hier vorgestellt werden soll, befindet sich ebenfalls in einer Kirche bei Imst. Es besteht wie seine mittelalterlichen Vorläufer aus einem Kreuzaufsatz, der aber im Unterschied zu den älteren Beispielen nicht in einem Metallgussverfahren hergestellt, sondern geschnitzt und anschließend versilbert bzw. vergoldet wurde. Das Kreuz ist in Bezug auf seine Proportionen auffällig, denn hier tritt der Körper des Gekreuzigten im Verhältnis zur Größe des Kreuzes zurück. Das Rokoko-Kreuz weist detailreich gearbeitete Verzierungen auf, wobei bei diesem Stück sogar die Oberflächen der Kreuzarme in einem Wellenmuster reliefartig ausgebildet sind.
Alle genannten Beispiele stehen für die qualitativ hochwertige Kunstproduktion zur Zeit des Hochbarock in Imst, die wesentlich von den Bildhauer- bzw. Malerfamilien Witwer und Renn getragen wurde.